Gemeinschaft

Aus dem gepriesenen Land – Briefe aus Mekka und Medina

05. Januar 2006

Es sind „bekannte und abgezählte Monate“ nennt unser Herr die Monate Schawwal, Zilkaade und die ersten zehn Tage von Zilhidscha. Diese zwei Monate und zehn Tage lange Zeit, vom ersten Tag des Monats Schawwal bis zum zehnten Tag des Monats Zilhidsche sind die Hadsch-Monate des Islams. In dieser Zeit kann die Hadsch vollzogen werden. Zum „Hadschi“, also zu jemandem, der die Hadsch vollzogen hat, wird man jedoch erst nach der Wakfe im Arafat Tal, am neunten Tag des Monats Zilhidsche.

Wir sind in den letzten Tagen des Monats Zilkade 1426 (nach der Hidschra) hier angekommen. Der Monat Zilkade ist der elfte Monat des islamischen Mondkalenders. Der letzte Monat des Jahres ist der Monat Zilhidsche, an dessen neunten Tag wir im Arafat Tal sein und an seinem 10. Tag das Opferfest begehen werden. An diesem Tag werden die Pilger auch ihre letzte Pflichtumrundung (Tawaf) der Kaba durchführen und zu einem Hadschi werden.

Im Dezember 2005 sind die Letzten aufgebrochen, die an der diesjährigen Hadsch teilnehmen wollen. Aus aller Welt sind sie hierher gekommen. Wir traten die Reise am 18. Dezember in Europa an, um nach einer sieben- bis achtstündigen Reise endlich in Dschidda am Roten Meer anzukommen.

Die Hafenstadt Dschidda ist eines der Tore Saudi-Arabiens zur Welt, eine Perle des Lichts, gerade wenn man die Stadt in der Nacht anfliegt. Die Infrastruktur der Stadt ist sehr gut ausgebaut, von dieser Seite unterscheidet sie sich nicht wesentlich von europäischen Städten.

Der Name der Stadt stammt von dem arabischen „Dschedde = Großmutter“. Nach einer Überlieferung soll unsere Mutter Hawwa (as) in der Stadt begraben sein. Der Name Dschidda soll weiter an die Mutter der Menschheit erinnern.

Am Flughafen angekommen, empfängt uns eine Halle, die auch wieder keine zu sein scheint. Es ist eine überdimensionale moderne Zeltarchitektur, die die ersten Pilger in sich aufnimmt. Nach ein-zwei Kontrollen haben wir diesen aber auch schon fast wieder verlassen. Und hier treffen wir auch zum ersten Mal auf diesen Strom unterschiedlicher, sich eigentlich unbekannter aber dennoch so naher Menschen. Sie sind verschiedener Herkunft, unterschiedlicher Abstammung, dennoch eint sie diese süße gemeinsame Aufregung.

Die ersten Pilger in ihren Pilgergewändern, ihren Ichram, umgeben uns. Wie weiße Tauben schwirren sie herum, wollen an ihr Ziel ankommen für ihre Hadsch und ihre Umra. Doch ist das Ziel noch 100 Kilometer entfernt und muss mit Bussen erreicht werden. Auf den Lippen die „Talbiya“ treten sie diese Letzte aber für die meisten wohl die längste Strecke an. Die Talbiya ist das Gebet, dass die Pilger bis zum Ablegen ihrer Ichrame immer wieder rezitieren werden. Gemeinsam mit anderen oder im Stillen, im Sitzen oder im Stehen, immer wird es sie begleiten.

Bis sie die Kaba das erste Mal sehen wird dieses Gebet nicht enden und sobald sie die Kaba dann sehen, werden sie einhalten. Sie werden ihr Stoßgebet sprechen, von dem der Prophet sagte, dass es sicherlich angenommen wird. Sie werden innig zu ihrem Herren sprechen, ihr Herz ihm wieder und wieder öffnen und Allah teala wird diese Gebete inschallah erhören. Denn unser Prophet Muhammed (saw) sagte über die Pilger, die zur Hadsch oder Umra aufbrechen: „Diejenigen, die die Hadsch oder Umra verrichten, sind Gesandten an Allah teala. Wenn sie beten, wird ihr Gebet erhört, wenn sie um die Vergebung eines anderen bitten, so wird dies gewährt.“

In dem Flughafen, der auch „Medinetu`l-hudschadsch = Stadt der Pilger“ genannt wird, sind aber auch Pilger ohne Ichram zu sehen. Das sind die Pilger, die vor dem Arafat-Tag noch zum Propheten nach Medina reisen, ihn an seinem Grab und in seiner Moschee besuchen wollen. Sie werden erst nach Medina reisen und acht Tage dort verbringen, vierzig Gebete in der Propheten-Moschee verrichten. Aber auch sie werden schließlich ihre Ichram anziehen und nach Mekka ziehen.

Unsere Gruppe gehört auch zu denjenigen, die erst nach Medina fahren werden. Am Amsterdamer Flughafen fing unsere Reise mit den Pilgern aus der Süd-Holland Region an. In Istanbul kamen zu unserer Gruppe auch noch die Pilger aus Belgien dazu. Es war kurz nach Mitternacht, als wir auf dem Flughafen Dschidda landeten.

Kurze Zeit später saßen wir dann auch schon in den Bussen nach Medina. Die Verbindung zwischen Mekka und Medina wird als „Hidschra-Autobahn“ bezeichnet, da sie auf derselben Route verläuft, die der Prophet bei seinem Auszug aus Mekka verwendete. Es ist erschütternd, wenn man nur auf die Idee kommt, den Konfort heutiger Zeit mit den vermutlichen Strapazen des Propheten zu vergleichen. Denn sein Weg war zweifellos der schwierigere.

Es ist fast drei Uhr morgens, als ich den Pilgern einige Anekdoten aus dieser Reise des Propheten erzähle. Während der Prophet (saw) mit seinem treuen Gefährten Abu Bakr über die trostlose Landschaft reitet, merkt Muhammed (saw) wie sein Gefährte mit seinem Reittier immer wieder vor, hinter oder neben ihn reitet. Er fragte ihn nach dem Grund für dieses rastlosen Wechsel. „Oh Gesandter Allahs“, sagte Abu Bakr, „wir sind zweifellos auf einer sehr gefährlichen Reise. Überall suchen unsere Feinde derzeit nach uns. Wann und woher sie angreifen, ist ungewiss. Wenn ich neben ihnen herreite, überfällt mich der Gedanke, jemand könne sich vor uns in einen Hinterhalt gelegt haben. Von vorne könnte dieser sie mit einem Speer oder einem Pfeil angreifen. Deswegen setze ich mich mit meinem Kamel vor sie. Wenn sie hinter mir herreiten, überfällt mich die Furcht, man könnte ihnen in den Rücken fallen. Dann lasse ich mich wieder zurückfallen. Deswegen dieser andauernde Wechsel.“ Nicht umsonst war Abu Bakr (as) mit seiner Treue bekannt.

Nur wenige können ihre Tränen nach dieser Anekdote zurückhalten. Das Verlangen nach Medina, nach einem Zusammentreffen mit ihm wird immer größer. Es ist halb sechs am Morgen, als wir für das Morgengebet anhalten. Es ist nicht mehr weit nach Medina und es dauert auch nicht mehr lange, bis wir die ersten Häuser Medinas zu Gesicht bekommen. Doch die Augen suchen etwas anderes, nicht die Häuser und die Straßen Medinas sind es, die man sehen will. Sie suchen nach den Minaretten der Propheten-Moschee, nach der grünen Kuppel auf seinem Grab.

Es kann gar nicht schnell genug gehen, beim Einchecken in das Hotel. Die Seele strebt immer stärker an diesen besonderen Ort, der zum Glück gerade uns gegenüberliegt, zu seiner Moschee. Und endlich setzen wir den Fuß in sie, besuchen das Grab des Propheten und endlich, wir verrichten unser erstes Gebet, in der Rawza-i mutahhara, gleich neben dem Propheten.

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