Gemeinschaft

Das Ringen um den Religionsunterricht – ein Zwischenstand

23. Oktober 2011

Kaum Beachtung finden bei diesen Debatten noch immer die Erwartungen und Argumente der muslimischen Gemeinschaften. Da die Schul- und Religionspolitik jeweils in den Kompetenzbereich der Bundesländer fallen, können bei der Etablierung des Religionsunterrichts zwar einige landesspezifische Eigenheiten Berücksichtigung finden, diesen ist jedoch mit der verfassungsrechtlichen Etablierung des Religionsunterrichts ein enger Rahmen gesetzt. So kann der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule, der bekenntnisgebunden abzuhalten ist, nur in Kooperation mit einer Religionsgemeinschaft eingeführt werden.

Über den rechtlichen Rahmen des Religionsunterrichts besteht im allgemeinen Klarheit, auch wenn von manchen Seiten immer öfter Forderungen in die Debatte eingebracht werden, diesen Rahmen im Sinne eines laizistischen Verständnisses neu zu ordnen. Seit Jahrzehnten wird katholischer und evangelischer Religionsunterricht an Schulen erteilt, es haben sich Verfahren und Strukturen sowohl in den mitwirkenden Religionsgemeinschaften als auch auf staatlicher Seite etabliert, die die Wahrung der staatlichen Neutralität und die Geltung des jeweiligen Bekenntnisses gewährleisten sollen.

Erwartungen der muslimischen Religionsgemeinschaften

Die Erwartungen der muslimischen Religionsgemeinschaften richten sich an die Einhaltung dieses etablierten Rahmens. Sie wollen keiner Sonderbehandlung sondern eine Gleichbehandlung. Gerade dies wird jedoch von Seiten der jeweiligen Landesregierungen in Frage gestellt. Während alle anderen Religionsgemeinschaften den Religionsunterricht auf Grundlage von Art. 7 III GG durchführen, soll für Muslime entweder ein spezielles Gesetz eingeführt werden oder es werden andere Sonderwege eruiert. Mit solchen Sonderlösungen werden jedoch eher neue Probleme geschaffen, als dass bestehende gelöst werden. Statt endlich einen ordentlichen Islamischen Religionsunterricht nach Art. 7 III GG, z.B. auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrags einzurichten, werden somit wieder Sonderwege bei der Integration der Muslime beschritten. Dies festigt jedoch die Basis für Ausgrenzung und nicht für eine gleichberechtigte Partizipation.

Diese Sonderwege verfestigen zum einen den Status der muslimischen Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften zweiter Klasse, zum anderen bringen sie das religionsverfassungsrechtliche Gefüge in Deutschland insgesamt aus dem Gleichgewicht. Im Ergebnis wird nämlich impliziert, dass das Religionsverfassungsrecht nicht zeitgemäß ist.

Von muslimischen Religionsgemeinschaften wird erwartet, dass sie ihren Anspruch als Religionsgemeinschaft aufgeben und darüber hinaus ihr verfassungsrechtlich garantiertes Mitwirkungsrecht in puncto bekenntnisgebundenen Religionsunterricht nur eingeschränkt wahrnehmen. Entweder werden sie nur in Form von z.B. Elternvereinen an der Gestaltung beteiligt, was von vornherein eine verfassungsgemäße Mitwirkung ausschließt, oder sie sollen ihr Mitwirkungsrecht an einen Beirat abgeben, der nur zu einem Teil aus Vertretern von Religionsgemeinschaften besteht.

Dabei wird es zuvorderst auf die Wahrung des Bekenntnisses ankommen, wenn bei muslimischen Eltern und Schülern um Vertrauen und Zuspruch für diesen Unterricht geworben werden soll. Es sollte schon aus der politischen Klugheit folgen, dass dieses Vertrauen nicht durch den Einsatz von Ausgrenzungs- und vermeintlichen „Zähmungs“-Mechanismen etabliert werden kann.

Kritik an der Sonderbehandlung von muslimischen Religionsgemeinschaften

Die Kritik an den bisherigen, fruchtlosen Versuchen des Sonderweges für muslimische Religionsgemeinschaften bei der Integration in den religionsverfassungsrechtlichen Rahmen wird jedoch nicht nur von muslimischer Seite vorgebracht.  So hat die Anhörung zum Gesetzesentwurf der NRW-Landesregierung zur Einführung des islamischen Religionsunterrichts in NRW gezeigt, dass viele der Kritikpunkte des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland (KRM) in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf von zahlreichen Experten im Ergebnis bestätigt werden. Zahlreiche Experten bewerten den konkreten Entwurf als religionsverfassungsrechtlich problematisch und warnen vor einem am Ende verfassungswidrigen Gesetz. Befürworter des Entwurfes sprechen von einem rechtspolitisch sinnvollen Schritt, ohne jedoch die rechtlichen Bedenken tatsächlich ausräumen zu können.

Auf Kritik stößt insbesondere die Bewertung des Status der islamischen Religionsgemeinschaften in dem Gesetzesentwurf. Hier wird vor einem ‚partiellen Dispens des Verfassungsrechts‘ gewarnt. Es könne keinen Religionsunterricht ohne Religionsgemeinschaft geben. Die Vorbehalte des Landes gegenüber den Religionsgemeinschaften und der Einrichtung eines vollwertigen Religionsunterrichtes nach Art. 7 Abs. 3 GG konnten von den meisten Experten nicht nachvollzogen werden. Es stehe außer Frage, dass die Moscheegemeinden Religionsgemeinschaften sind. Die bestehenden Verbände sind dann entweder als Zusammenschlüsse von Religionsgemeinschaften ebenfalls Religionsgemeinschaften oder können zumindest in Vertretung für die Moscheegemeinden auftreten. In beiden Fällen kann das Land mit diesen Ansprechpartnern konkret einen verfassungsgemäßen Religionsunterricht einrichten.

Andernfalls sei zweifelhaft, ob der einzurichtende Unterricht nach dem bisher vorgelegten Gesetzesentwurf der Landesregierung tatsächlich ein vollwertiger islamischer Religionsunterricht sein kann. Vielmehr stelle dieser nur eine Weiterentwicklung des bisher bekannten Islamkundeunterrichts dar, da das Mitwirkungsrecht der muslimischen Gemeinschaften zu sehr beschnitten wird. In seiner jetzigen Form greift der laut Gesetzesentwurf vorgesehene Beirat massiv in das Selbstbestimmungsrecht der islamischen Religionsgemeinschaften ein. Insbesondere die Legitimation der nicht-gemeinschaftsangehörigen Mitglieder des zu konstituierenden Beirates fehlt, da diese nicht auf die Bevollmächtigung einer Religionsgemeinschaft verweisen können. Zudem wird von Seiten der Experten davor gewarnt, dass aufgrund eines möglichen Dissenses zwischen diesen Mitgliedern und den Gemeinschaftsvertretern am Ende der Staat in Form des Schulministeriums darüber entscheiden muss, was Islam ist und was nicht. Laut Experten bedeutet dies einen massiven Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gebotene Neutralitätsprinzip.

Es wäre falsch, diese Kritikpunkte nur mit Blick auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen zu verstehen. Die angeführten Probleme bestehen bisweilen in unterschiedlichen Variationen in fast allen betroffenen Bundesländern.  Es ist nämlich gerade nicht der rechtliche Rahmen oder der Status der muslimischen Religionsgemeinschaften, an dem die Einführung des islamischen Religionsunterrichts bisher gescheitert ist. Es ist der fehlende politische Wille auf Seiten der Landesregierungen, der die Debatten immer wieder an den Nullpunkt zurückführt. Der Streit um den Status der muslimischen Religionsgemeinschaften ist dabei nicht mehr als eine Scheindebatte. Wenn die Länder wollten, könnten sie schon heute mit den etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften einen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. III GG einführen.

Stattdessen wird weiter zu Lasten der muslimischen Schüler, Eltern und Religionsgemeinschaften eine Stellvertreterstreit betrieben. Denn nicht immer geht es tatsächlich um den Islam, wenn in der öffentlichen Debatte ‚Islam‘ in der Überschrift steht. Themen um die Integration des Islams und der Muslime werden dafür missbraucht, das religionsverfassungsrechtliche Gefüge Deutschlands insgesamt in Frage zu stellen. Leidtragende sind zwar erst einmal die Muslime, sie werden aber, so der Anschein, darin nicht lange alleine bleiben.

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