Pressemitteilung
Islamische Gemeinschaft: Gedenken an Srebrenica verpflichtet zum Lernen und Handeln
11. Juli 2025
„Drei Jahrzehnte nach dem Völkermord von Srebrenica mahnt die Islamische Gemeinschaft: Gedenken darf kein Ritual sein – sondern muss Verantwortung im Heute bedeuten“, erklärt Kemal Ergün, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Anlass ist der Srebrenica-Gedenktag der Vereinten Nationen, dass jährlich am 11. Juli begangen wird. Kemal Ergün weiter:
„Vor 30 Jahren, im Juli 1995, wurden in der ostbosnischen Stadt Srebrenica Tausende mehrheitlich muslimische Jungen und Männer systematisch ermordet. Was als UN-Schutzzone galt, wurde zum Schauplatz des grausamsten Verbrechens auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Schmerz über diesen Zivilisationsbruch ist geblieben – ebenso wie die Trauer der Überlebenden, der Mütter, der Witwen, der Waisen.
Am 30. Jahrestag des Genozids spricht die Islamische Gemeinschaft in stiller Anteilnahme den Opfern und ihren Familien ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Wir trauern gemeinsam mit ihren Angehörigen, die bis heute um Anerkennung, Gerechtigkeit und Wahrheit kämpfen. Unser Gebet gilt den Ermordeten – unser Wort aber gehört den Lebenden. Denn Gedenken ist nicht stumm. Es ist eine Mahnung. Eine Verpflichtung. Eine Absage an das Vergessen.
Srebrenica war kein tragischer Unfall der Geschichte, sondern das Ergebnis von Hass, politischer Propaganda und internationalem Versagen. Die Welt sah zu – und schwieg. Heute erwächst daraus ein Auftrag: Nie wieder darf Europa schweigen, wenn Menschen aufgrund ihrer Religion oder Herkunft verfolgt, vertrieben oder vernichtet werden. Nie wieder darf sich die Staatengemeinschaft hinter diplomatischen Floskeln verstecken, wenn ethnischer Hass zur politischen Waffe wird. Niemals darf es wieder heißen: ‚Wir haben es nicht gewusst.‘
Srebrenica war ein Angriff auf europäische Muslime – mitten im Herzen Europas. Deshalb war er auch ein Angriff auf religiöse Vielfalt, die Menschenwürde, auf das europäische Versprechen von ‚Nie wieder‘. Wer Europas Geschichte ernst nimmt, muss auch Srebrenica ernst nehmen, als Teil seiner Identität begreifen. Europas muslimische Geschichte ist Teil seiner Gegenwart – und seiner Zukunft. Wer sich für europäische Werte einsetzt, darf nicht über muslimisches Leid hinwegsehen. Hass und Hetze – damals wie heute – beginnt nicht mit Massakern, sondern mit Worten, Ausgrenzung und Entrechtung. Wer Musliminnen und Muslime pauschal verdächtigt, ihre Religion als Bedrohung darstellt und ihre Existenz in Frage stellt, ebnet jenen Kräften den Weg, die aus Worten Taten machen.
Srebrenica erinnert uns: Wer Menschengruppen aus religiösen oder rassistischen Gründen ausgrenzt, gefährdet die ganze Gesellschaft. Eine demokratische Ordnung, die Menschen selektiert und nicht schützt, verliert ihre Glaubwürdigkeit. Gedenken darf deshalb nicht nur Folklore sein und folgenlos bleiben. Es muss auch die heutige Realität muslimischen Lebens in Europa einbeziehen.
Noch immer taucht das Massaker von Srebrenica in Schulbüchern kaum auf. Noch immer wissen viele junge Menschen nichts über das, was in Bosnien geschah. Diese Leerstelle ist nicht neutral – sie ist gefährlich. Denn wer nicht weiß, was war, kann nicht erkennen, wenn sich Geschichte zu wiederholen droht. Wir fordern deshalb: Srebrenica muss Teil der Gedenkkultur werden. Die Geschichte des Völkermords an europäischen Muslimen gehört in den Unterricht, in Museen, in die politische Bildung. Wer erinnert, schützt. Wer vergisst, riskiert.
Gedenken heißt nicht nur erinnern, sondern auch handeln. Es geht nicht darum, Parallelen zu ziehen, wo sie nicht angebracht sind. Aber es geht darum, moralische Maßstäbe nicht beliebig werden zu lassen. Wer heute Srebrenica betrauert, darf nicht schweigen, wenn im Mittelmeer Menschen ertrinken oder wenn Minderheiten weltweit entrechtet werden – ob in Gaza, Xinjiang oder an Europas Außengrenzen. Insofern ist der Jahrestag von Srebrenica keine bloße historische Marke, sondern ein Prüfstein für unsere Gegenwart.
Die Islamische Gemeinschaft bekräftigt ihre Solidarität mit den Hinterbliebenen und ihre Verpflichtung zum Erinnern. Wir rufen alle gesellschaftlichen Kräfte auf: Gebt Srebrenica einen festen Platz im öffentlichen Gedächtnis. Hört den Stimmen der Überlebenden zu.“