Pressemitteilung

Koedukativer Schwimmunterricht: Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts überrascht nicht, ist aber juristisch nicht nachvollziehbar

12. September 2013

„Das Bundesverwaltungsgericht hat sich vom öffentlichen Diskurs über Muslime und über den Islam dazu verleiten lassen, seine eigenen Grundsätze aus dem Jahr 1993 aufzugeben. Eine andere Erklärung für diesen Kurswechsel gibt es nicht. Das Gericht hat sich auf Kosten von Grundrechten der nicht näher definierten Integrationspolitik gebeugt“, erklärte Mustafa Yeneroğlu, stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), anlässlich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2013, wonach einer muslimischen Schülerin zugemutet wird, notfalls in einem sogenannten Burkini an einem koedukativ erteilten Schwimmunterricht teilzunehmen. Yeneroğlu weiter:

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum koedukativen Schwimmunterricht ist aus vielen Gründen nicht nachvollziehbar. Dennoch stellt das Urteil keine Überraschung dar. Es bestätigt nur die religionspolitisch intendierte Entwicklung der letzten Jahre, im Namen einer nicht näher definierten Integrationspolitik die Religionsfreiheit von Muslimen möglichst einzuschränken. Das Bundesverwaltungsgericht beugt sich leider unkritisch dieser Entwicklung.

Wie sonst ist es zu erklären, dass die Richter ihre selbst aufgestellten Grundsätze aus dem Jahr 1993 über Bord werfen? Damals war das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass ein im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht angebotener koedukativ erteilter Sportunterricht für eine zwölfjährige Schülerin islamischen Glaubens im Hinblick auf die Bekleidungsvorschriften des Korans, zu einem Anspruch auf Befreiung vom Sportunterricht führt, solange dieser nicht nach Geschlechtern getrennt angeboten wird und aufgrund dessen ein Gewissenskonflikt bei der Schülerin vorliegt.

Seit dem hat es keine grundsätzliche Änderung hinsichtlich der Einordnung der Religions- und Gewissensfreiheit gegeben, die eine Abkehr von dieser Rechtsprechung hätten erklären können. Im Gegenteil, die Religions- und Gewissensfreiheit wurde in Folgeurteilen weiter hervorgehoben. Was sich geändert hat, ist lediglich die öffentliche Wahrnehmung des Islams und Muslime.

Hier stellen sich folgende Fragen: Darf der Staat dem verfassungsrechtlichen Gefüge nach wirklich so gravierend in das grundrechtlich verbürgte Erziehungsrecht der Eltern eingreifen und die Eltern, was die religiöse Erziehung ihrer Kinder anbetrifft, quasi bevormunden? Und darf der Staat einen plausibel dargelegten Gewissenskonflikt einer muslimischen Schülerin beiseite wischen, weil es der gesellschaftlichen Realität widersprechen würde? Mutiert der Staat nicht zu einem von der Verfassung abgelehnten weltanschaulichen Staat, wenn er über seinen Bildungsauftrag und seines Wächteramtes hinaus Eltern gegenüber meint, vorgeben zu können, wie religiös sie ihre Kinder zu erziehen haben? Darf der Staat eine bestimmte Lebensart als Norm nahelegen?

Hinzu kommen folgende Fakten, die weitere Fragen aufwerfen: In Bayern werden 93,2 % der Schüler dem Sport- und Schwimmunterricht getrenntgeschlechtlich unterzogen, in Baden-Württemberg sind es 88,3 % und in Sachsen 73,8 % – nach PISA scheint sich dieser Umstand nicht negativ in die Schulleistungen niederzuschlagen. Müsste angesichts dieser Zahlen diese Frage – koedukativer Schwimmunterricht ja oder nein – nicht unabhängig vom muslimischen Bezug gestellt werden? Daran scheint aber niemand ein Interesse zu haben, was den Eindruck verstärkt, dass es hier nicht um eine verfassungsrechtliche Güterabwägung geht, sondern um die Umsetzung eines weltanschaulich-kulturpolitisch gewollten Diskurses vergangener Jahre im Zusammenhang mit dem Islam und den Muslimen.

Dass sich die Bundesrichter offensichtlich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht haben, welche psychischen Folgen eine widerwillige Teilnahme am Schwimmunterricht in einem sogenannten Burkini haben kann, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls keine Überraschung.

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